Rede von Sabine Friedel zur geplanten Verfassungsänderung

14. Dezember 2023

Man kann die Geschichte der Ver­fas­sungs­än­de­rung, man kann Politik ganz gene­rell natür­lich so erzählen: als Geschichte von Frust und Schei­tern, von Vor­füh­rung oder Demü­ti­gung, von Hektik, Hürden und Zuge­ständ­nissen. Hat man damit das ganze Bild? Nun, man hat sich ein Bild gemacht. Man kann sich auch ein anderes machen – dazu will ich sie in den nächsten fünf Minuten ein­laden. Man kann gedank­lich mal raus­zoomen, so wie bei Google Earth, immer höher und höher. Weg von uns 119 Abge­ord­nete in einem runden Gebäude

  • höher – in einer Stadt am Fluss mit einer halben Mil­lion Ein­woh­nern
  • höher – jetzt sieht man eine Region mit vier Mil­lionen Ein­woh­nern
  • höher – in einem Land mit 84 Mil­lionen Men­schen
  • höher – auf einem Kon­ti­nent mit 750 Mil­lionen anderen Men­schen

Aus dieser Per­spek­tive lohnt viel­leicht nochmal ein neuer Blick. Da sitzen drei Partner an einem Tisch, die sich auf etwas einigen wollen. Die aber sehr unter­schied­liche Per­spek­tiven haben. Und des­halb auf viele Fragen unter­schied­lich Ant­worten. Die brau­chen für eine Ver­fas­sungs­än­de­rung sogar noch einen vierten Partner, aber vorher müssen sie sich ja erstmal selbst einigen.

Auf den mög­li­chen fünften Partner muss man gar nicht erst schauen, der hat mit dieser Ver­fas­sung nichts am Hut. Und hat ja gerade auch schon nein gesagt.

Und dann ver­su­chen die drei, sich zu einigen. Und zwar tat­säch­lich ernst­haft. Denn im Unter­schied zu den Jungs da drüben sind die meisten von uns hier nicht nur Poli­ti­ker­dar­steller, son­dern wirk­lich Poli­tiker. Wir sitzen hier, weil wir – neben vielen mög­li­chen anderen Erwä­gungen – tat­säch­lich Nutzen stiften wollen für dieses Land. Und des­halb, man mag es glauben oder nicht, führen die drei Partner diese Ver­hand­lungen ernst­haft:

  • Schreiben ihre Posi­tionen auf
  • Tau­schen Papiere aus
  • Treffen sich regel­mäßig, ein‑, manchmal zweimal pro Monat
  • Laden Sach­ver­stän­dige aus dem ganzen Bun­des­ge­biet ein, um die Vor- und Nach­teile von allen Vor­schlägen zu beleuchten
  • Und stellen am Ende fest: wir können uns nur auf wenige Punkte einigen. In vielen bleiben wir unter­schied­li­cher Mei­nung
  • Weil wir unter­schied­li­chen Nutzen stiften wollen

Was macht man dann? Aus unserer Sicht ist es richtig, dann nicht ein­fach auf­zu­hören. Aus unserer Sicht ist es richtig zu sagen: Na, halten wir wenigs­tens fest, worin wir uns einig sind. Um dann eben erstmal im Kleinen Nutzen zu stiften. Und des­halb legen wir Ihnen hier einen Gesetz­ent­wurf vor,

  • der natür­lich nicht eine neue Ver­fas­sung für Sachsen ist
  • der keine Ände­rungen bei der Schul­den­bremse ent­hält, denn hier waren unsere Posi­tionen ein­fach nicht zusam­men­zu­bringen
  • der kein Recht auf Bil­dung oder eine bun­des­weite Koope­ra­tion in Bil­dungs­fragen fest­schreibt, wie wir uns das bei­spiels­weise gewünscht hätten

Aber der im Kern doch eine sehr grund­le­gende Ände­rung beinhaltet: Eine deut­liche Erleich­te­rung der direkten Demo­kratie. Wenn dieser Gesetz­ent­wurf im nächsten Jahr eine Zwei-Drittel-Mehr­heit errei­chen sollte, dann wird es ein­fa­cher für die Bür­ge­rinnen und Bürger in Sachsen, mit Volks­an­trägen und Volks­be­gehren Impulse für die poli­ti­sche Debatte und die Gesetz­ge­bung zu geben. Das ist kein Nichts und das ist kein Tri­umph. Es ist ein­fach unser kleinster gemein­samer Nenner – und für die Bür­ge­rinnen und Bürger ein kon­kreter Nutzen.

Ich per­sön­lich finde das wert­voll genug. Und halte wenig davon, dieses prag­ma­ti­sche Ergebnis als Schei­tern, Vor­füh­rung oder Zuge­ständnis zu erzählen. Denn wem nutzt das, wenn wir die Geschichte poli­ti­scher Kom­pro­misse stets auf diese gleiche Weise erzählen? Kurz­fristig sicher vielen – der Frak­tion da drüben, den Klick­zahlen, viel­leicht gibt es man­chem von uns ein kurzes Sie­ges­ge­fühl Aber: Was nutzt es? Wozu führt das? Es führt dazu, dass jeder von uns sich immer stärker genö­tigt sieht, solche Erzäh­lungen zu ver­meiden:

  • Dadurch, dass man Debatten ver­meidet, denn sie könnten als Streit ver­standen werden
  • Dadurch, dass man auf seinen Stand­punkten beharrt und Zuge­ständ­nisse ver­meidet, denn sie könnten als Demü­ti­gung beschrieben werden
  • Dadurch, dass man Ent­schei­dungen ver­meidet, denn sie könnten als Schei­tern wahr­ge­nommen werden

So werden Poli­tiker zu Poli­ti­ker­dar­stel­lern. Das wäre das Ende des Kom­pro­misses, das Ende poli­ti­scher Ver­stän­di­gung, das Ende der Demo­kratie.

Dass die Ampel in Berlin so lange braucht, um mühsam Kom­pro­misse zu finden, liegt auch an diesem Mecha­nismus. Aber sie findet Kom­pro­misse. Sie trifft Ent­schei­dungen. Keine Revo­lu­tio­nären. Aber ist das ein Grund, alles schlecht zu reden? Kann man nicht auch jen­seits aller revo­lu­tio­nären Ent­schei­dungen aner­kennen, wel­cher kleine Nutzen trotzdem hier und da gestiftet wird?

Unser Gesetz­ent­wurf soll einen kleinen Nutzen in diesem Land stiften, nicht mehr und nicht weniger. Ich würde mich freuen, wenn es gelänge, dies bei den bevor­ste­henden Bera­tungen nicht völlig ins Hin­ter­treffen geraten zu lassen.