ANTWORTEN AUF DIE WICHTIGSTEN FRAGEN ZUM LEHRERMANGEL
Rede von Sabine Friedel am 22. Juni 2017 im Sächsischen Landtag
In Sachsen herrscht Lehrermangel. Wir haben häufige Fragen zusammengestellt und beantwortet.
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SACHSEN HAT EINEN GRAVIERENDEN LEHRERMANGEL. WIE KONNTE ES DAZU KOMMEN?
Nach der Wende haben sich die Schülerzahlen halbiert. Deshalb gab es zu viele Lehrer. Ihnen sollte aber nicht gekündigt werden (und das war richtig so). Also haben sie alle ihre Stelle behalten und Teilzeit gearbeitet. Deshalb wurden auch keine neuen Lehrer eingestellt. Die Studienabsolventen sind in andere Länder gegangen, weil sie in Sachsen keine Stelle bekommen haben.
Das Vorgehen war richtig. Aber: Jeder weiß, dass das nicht auf Dauer funktioniert. Sondern dass man beizeiten umsteuern muss. Seit dem Schuljahr 2015/16 sind die Schülerzahlen wieder deutlich gestiegen. Die Kinder waren alle sechs Jahre vorher schon geboren. Man wusste um den Anstieg. Das heißt: Ab dem Jahr 2009/10 hätte man wieder mehr Lehrkräfte einstellen müssen. Wir haben das damals oft gefordert und viele Anträge gestellt. Aber die CDU/FDP-Mehrheit hat wider besseren Wissens weitergespart. 2012 sind dann sogar der CDU-Kultusminister Wöller und der CDU-Bildungspolitiker Colditz zurückgetreten, weil sie die Einstellung von Lehrern forderten, sich aber nicht durchsetzen konnten. 2014, seit die SPD wieder mitregiert, begann ein Umdenken und Umsteuern. Seit Regierungsantritt bis heute gibt es dank uns insgesamt 5.000 Stellen mehr als von Schwarzgelb geplant.
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WARUM IST DAS PROBLEM JETZT SO GROSS?
Das Ruder wurde zu spät herumgerissen. Jetzt gehen viele Lehrkräfte in den Ruhestand, aber die Jungen sind noch nicht fertig mit dem Studium. Spätestens mit dem Rücktritt von Kultusminister Wöller im Jahr 2012 hätten die Verantwortlichen aufwachen müssen. Doch es wurden drei wertvolle Jahre verschenkt. Das wird dem Freistaat Sachsen heute zum Verhängnis.
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Wie ist der Stand zum Schuljahresstart 2017/18?
Zum Schuljahresstart konnten 1.388 von 1.400 Stellen besetzt werden. Davon sind 720 Seiteneinsteiger – insgesamt also 52 Prozent. An Grundschulen sind sogar 66 Prozent der neuen Lehrer Seiteneinsteiger, an Oberschulen 61 Prozent.
Da ein großer Teil der Seiteneinsteiger zunächst die Erstqualifizierung durchlaufen muss, werden erst ab Dezember alle Seiteneinsteiger voll zur Verfügung stehen.
Die Lage an den Schulen ist also nach wie vor kritisch. Mit einer Entspannung der Situation rechnet die Kultusministerin erst in zwei bis drei Jahren.
Nochmals: Das alles ist ein Resultat aus Fehlern der Vergangenheit. Bis zur Landtagswahl 2014 wurde das Problem ignoriert. Ein Maßnahmepaket zur Bekämpfung des Lehrermangels wurde erst im Oktober 2016, nach langem und intensivem Druck der SPD, beschlossen. Leider wird es nur zögerlich umgesetzt, so dass die Probleme zum Schuljahresstart noch immer sehr groß sind.
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Hätten nicht mehr lehrer ausgebildet werden müssen?
Ja. Im Jahr 2011 standen nur ca. 1000 Studienplätze zur Verfügung. Das ist weniger als die Hälfte der heutigen Kapazität. Die Höhe der Ausbildungskapazität beruhte dabei auf dem erwarteten Lehrerbedarf. Und um diesen abschätzen zu können, bedarf es einer Lehrerbedarfsprognose. Diese Prognose haben wir mit dem Koalitionsvertrag eingefordert. Aber auch hier hat das Kultusministerium sich mehr Zeit gelassen als geboten war. Mit Vorlage der neuen Lehrerbedarfsprognose im Jahr 2016 wurden die entsprechenden Ausbildungskapazitäten an unseren Hochschulen erneut aufgestockt. Ab Oktober 2017 stehen 2.375 Studienplätze zur Verfügung. Hierfür gibt es eine Sonderzielvereinbarung zwischen Staatsregierung und Hochschulen.
Da die Ausbildung eines Lehrers im Durchschnitt sieben Jahre dauert, steht diese erhöhte Anzahl an Absolventen demnach ab 2024 zur Verfügung. Der heutige akute Mangel resultiert unter anderem aus Entscheidungen im Jahr 2010, die ihren Ursprung in der ersten sächsischen Hochschulvereinbarung der damaligen CDU-Alleinregierung aus dem Jahr 2003 haben.
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WO sind die Lehramtsabsolventen hin?
Wie man an der Grafik sieht, gibt es eine Lücke zwischen angehenden Lehrern vor und nach dem Referendariat. Dies liegt auch an der zur Verfügung stehenden Anzahl an Referendariatsplätzen. Noch vor wenigen Jahren wurde den sächsischen Absolventen über dieses Nadelöhr der Weg in den sächsischen Schuldienst verbaut. Viele junge Menschen sind deshalb zum Referendariat in ein anderes Bundesland gegangen und dort sesshaft geworden. Darüber hinaus hat man nicht alle fertigen Referendare in den Schuldienst übernommen.
In der Zwischenzeit wurde die Zahl der Referendariatsplätze erhöht. So stehen 2.050 Plätze in 2018 bereit, um den sächsischen Hochschulabsolventen ein Referendariat in Sachsen zu ermöglichen.
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WARUM HAT DIE SPD DAMIT NICHTS ZU TUN? WIR SIND DOCH TEIL DER REGIERUNG?
Wir haben eine Menge damit zu tun. Auch wenn wir leider nicht das zuständige Ministerium innehaben, wollen wir das Problem mitlösen. Wir haben die Situation nicht verursacht – siehe oben. Aber wir würden gern mehr tun, um sie zu bewältigen. Leider finden wir im Kultusministerium nicht genug Gehör. Wir haben den Eindruck, dort hat man den Ernst der Lage offenbar immer noch nicht verstanden. Wir hatten im Mai 2016 einen langen Katalog mit Maßnahmen vorgelegt. Bis zum Oktober 2016 hat unser Kampf dafür gedauert, aber wir waren am Ende erfolgreich. Doch vieles, was im Maßnahmepaket beschlossen wurde, wird vom Kultusministerium nicht oder wird nur zögerlich umgesetzt. Sowohl im Kultus- als auch im Finanzministerium trägt die CDU die Verantwortung. Dort, wo wir selbst agieren können, haben wir viel erreicht – siehe nächste Frage.
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WAS HAT DIE SPD GETAN, UM DIE SITUATION ZU VERBESSERN?
Wir haben zuerst einmal mit Eintritt in die Regierung den Stellenabbau gestoppt. Zum zweiten haben wir die sofortige und unbefristete Wiederbesetzung jeder frei werdenden Stelle erreicht. Wir haben dazu noch drittens insgesamt 2.500 zusätzliche Lehrerstellen geschaffen.
Wir haben viertens ein Lehrermaßnahmepaket erzwungen und verabschiedet. Wir haben fünftens mit dem neuen Schulgesetz dafür gesorgt, dass der Schulalltag vor Ort eigenverantwortlich organisiert werden kann. geschaffen. Wir haben sechstens die Zahl der Studienplätze und der Referendariatsplätze verdoppelt. Wir haben die Ganztagsmittel erhöht, Gelder für Zulagen bereitgestellt und die Lehrkräfte entlastet. Aber all das ist noch nicht genug. Sachsen braucht einen Landestarifvertrag, in dem der Freistaat und die Lehrerverbände gemeinsam Vereinbarungen zur Problemlösung treffen. Doch leider sind das Kultus- und das Finanzministerium nach wie vor strikt dagegen. Wir haben keine Möglichkeiten, kluges Handeln des Koalitionspartners zu erzwingen, wir können den Partner nur immer wieder ermutigen und inspirieren. Das tun wir.
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WARUM BLEIBT DIE SPD IN DER REGIERUNG, WENN SIE SO UNZUFRIEDEN IST?
Welches Problem an den Schulen würde durch eine Neuwahl gelöst? Kein einziges. Neuwahlen hießen jetzt ein paar Monate Wahlkampf, dann Neuorientierung, dann Koalitionsverhandlungen, dann Einarbeitung … Und wieder würde wertvolle Zeit ungenutzt verstreichen. Nein – Probleme sind zum Lösen da. Wir bleiben hartnäckig und fordern weiter das ein, was tatsächlich zur Lösung beiträgt. Nämlich:
- einen Landestarifvertrag, in dem Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam Maßnahmen zur Lehrerversorgung vereinbaren,
- schulscharfe Ausschreibungen, Bewerbungen und Einstellungen,
- eine Umstellung des Lehramtsstudiums hin zur Stufenausbildung,
- die Flexibilisierung im System durch Einrichtung von lokalen Springerpools, Honorartöpfen und Stellenbörsen,
- den Einsatz eines Personaldienstleisters beim Einstellungsverfahren,
- die Entschlackung der Lehrpläne und Kürzung der Stundentafel,
- die Einstellung von Lehrkräften über den Bedarf als zweite Kraft,
- die Übernahme des Schulverwaltungspersonals in den Landesdienst
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