Rede von Hanka Kliese

5. September 2018

Rede von Hanka Kliese, stell­ver­tre­tende Vor­sit­zende der SPD-Land­tags­frak­tion, zur Regie­rungs­er­klä­rung „Für eine demo­kra­ti­sche Gesell­schaft und einen starken Staat“.

(ab 1:26:00)

Wäh­rend mir in meiner Hei­mat­stadt gerade etliche Men­schen erklären wollen, Angela Merkel und ihre Flücht­lings­po­litik seien schuld daran, dass Men­schen auf der Straße gerade derart ent­gleisen, denke ich an die 1990er Jahre in Sachsen und das, was ihnen folgte.

Es war noch kein Flücht­ling zu sehen, als es bereits Ras­sismus gab, übri­gens nicht nur in Sachsen.

Im Jahr 2004 bereits ging ein Auf­schrei durch die Repu­blik, als die NPD mit 9,2 Pro­zent in den Säch­si­schen Landtag gewählt wurde.

Früher hatten wir Aus­län­der­feind­lich­keit ohne Aus­länder.

Heute haben wir Aus­län­der­feind­lich­keit mit Aus­län­dern.

Wir haben kein Pro­blem mit Trau­ernden, wir haben auch kein Pro­blem mit Spin­nern und Chaoten, denn das trifft es nicht. Exakt muss es heißen: Wir haben ein Pro­blem mit Rechts­extre­mismus.

Wer das heute noch leugnet und als Sachsen-Bas­hing abtut, hat die Zei­chen der Zeit nicht erkannt.

Ich finde es gut, dass wir beginnen, aus Feh­lern zu lernen. Meine Frak­tion begrüßt aus­drück­lich die Äuße­rungen des Minis­ter­prä­si­denten der letzten Tage.

Eine Ana­lyse der Ver­gan­gen­heit ist wichtig, denn sie ist die Grund­lage, um Dinge besser zu tun. Dabei müssen auch wir als SPD uns fragen:

Sind unsere Stra­te­gien und Instru­mente im Kampf gegen Rechts­extre­mismus noch zeit­gemäß? Das können wir gemeinsam mit den vielen Akteuren tun, die in den letzten Jahren hier eine schwere Arbeit geleistet haben – mit Ver­laub Herr Kret­schmer, nicht immer mit Unter­stüt­zung der Staats­re­gie­rung.

Wer aller­dings diese Zeit nutzen will, um nur die Fehler der Ver­gan­gen­heit hoch und runter zu beten, muss sich fragen, ob er ernst­haft an einer Ver­än­de­rung der Ver­hält­nisse inter­es­siert ist oder sich bereits im Beklagen ein­ge­richtet hat. Auch das kann bequem sein.

Der Aus­gangs­punkt der Gescheh­nisse in Chem­nitz ist ein Tötungs­de­likt, das uns tief betroffen macht. So wie es bei jeder Tötung der Fall sein sollte, ob das Opfer jung oder alt, schwarz oder weiß, reich oder arm, männ­lich oder weib­lich ist. Wir müssen alle in uns gehen und uns fragen, ob wir diesen wich­tigen Grund­satz der Gleich­heit tat­säch­lich in jedem Fall durch­halten. Ich wün­sche mir, dass wir das schaffen.

Wie Sie sicher­lich auch erhielt ich in den letzten Tagen unheim­lich viele Nach­richten. Nicht Wenige schrieben mir: „Es ist schlimm, wie Sachsen in der Presse dar­ge­stellt wird. Kann man dagegen nichts machen?“

Darauf möchte ich erwi­dern: Ich bin glück­lich in einem Land zu leben, in dem die Politik da nichts machen kann. Pres­se­frei­heit ist für mich nicht ver­han­delbar. Wir brau­chen auch in diesem Pro­blem­be­reich keine Schaf­fung unga­ri­scher Ver­hält­nisse!

Geär­gert habe ich mich frei­lich auch ab und zu. So sagte am Samstag nach­mittag im Deutsch­land Radio Kultur ein Stu­dio­gast: Man müsse doch jetzt auch über die Demons­tra­tionen hinaus an die armen Men­schen denken, die in dieser Stadt leben müssen.

Ich muss über­haupt nicht in Chem­nitz leben, nie­mand muss das. Ich lebe dort wie viele andere Men­schen, weil diese Stadt eine wun­der­bare Lebens­qua­lität hat.

Wir haben ein Fünf-Sparten-Theater mit einer fan­tas­ti­schen Robert-Schu­mann-Phil­har­monie, ein Fraun­hofer Institut, ein über­re­gional bekannte Kunst­samm­lung, ein fan­tas­ti­sches Indus­trie­mu­seum, die Samm­lung Gun­zen­hauser. Wir sind kein Moloch.

Ich habe diese Stadt bewusst gewählt , um meine Tochter dort auf­wachsen zu lassen, denn sie ist genau richtig. Mit Frei­räumen für junge Kunst und Kultur, mit boden­stän­digen und flei­ßigen Men­schen.

Chem­nitz bewirbt sich als Kul­tur­haupt­stadt. Warum: Weil wir es können.

Die Erzäh­lung für diese Bewer­bung muss nun neu geschrieben werden. Das muss sie nicht, weil Angela Merkel die Flücht­linge nach  Deutsch­land gelassen hat. Das muss sie, weil Rechts­extre­mismus und Gewalt sich in dieser Stadt an zwei Tagen ent­laden haben. Die Bilder wurden überall gezeigt. Nicht, um Sachsen zu schaden, son­dern weil es sie gab.

Gerade wendet sich das Blatt und es wird eine posi­ti­vere Bericht­erstat­tung ver­sucht, etwa über das Kon­zert am Mon­tag­abend.

Doch egal welche der Bilder Sie gesehen haben: Sie haben nie­mals die Mehr­heit der Chem­nit­ze­rinnen und Chem­nitzer gesehen. Die Spal­tung unserer Stadt wird nicht durch Demons­tra­tionen über­wunden, so wichtig es ist, jetzt Flagge zu zeigen. Wir können die Spal­tung nur über­winden, wenn wir ein­ander als Men­schen begegnen, die Respekt haben. Respekt vor Men­schen anderer Her­kunft, die sich jetzt bedroht fühlen. Aber auch Respekt vor der alten Dame, die sich abends nicht mehr auf die Straße traut.

Angst ist ein Gefühl, das wir nicht mit einer Sta­tistik oder Sach­ar­gu­menten bei­sei­te­schieben können. Gefühle sind nie lächer­lich und sollten nie arro­gant von außen bewertet werden.

Was mich schon länger besorgt ist, dass diese Spal­tung sich nicht nur auf links oder rechts bezieht, son­dern gene­rell auf eine Abwer­tung poli­ti­scher Par­teien.

Wir leben in einem Land, in dem das Enga­ge­ment in jedem Kanin­chen­züch­ter­verein als ehren­werter gilt als das in einer poli­ti­schen Partei.

Was für eine Gesell­schaft soll das sein, in der poli­ti­sche Par­teien als Fremd­körper wahr­ge­nommen werden?

Die AfD hat mir ihrem Alt­par­tei­en­geschwafel kräftig dazu bei­getragen.

Ich bitte Sie, nicht hier im Par­la­ment, son­dern außer­halb, aner­kennen Sie das Enga­ge­ment derer, die sich in Par­teien ehren­amt­lich und haupt­amt­lich für unsere Demo­kratie enga­gieren.

Ges­tern las ich in einer großen deut­schen Zei­tung: „Wir sollen hoch vom Sofa und die Poli­tiker setzen sich.“

Ich habe solche Poli­tiker nicht gesehen in den letzten Jahren, und in den letzten Tagen erst recht nicht. Ich sehe hier Leute, die tage­lang wenig schlafen, die mit ihren Refe­renten im Dauer-Stress-Modus sind und keine Wochen­enden haben. Dafür brau­chen sie kein Mit­leid und kein Lob, aber es sollte wenigs­tens gesehen werden.

Anrede, ich habe mich in meiner Stadt Chem­nitz in den letzten Tagen manchmal gefühlt wie vor einer Gespens­ter­ku­lisse, es war beklem­mend am Bahnhof die vielen Poli­zei­wagen zu sehen. Ich sehe Chem­nitz lieber ohne all das. Die Got­tes­dienste, die Kon­zerte waren schön, aber alle, die das ver­an­staltet haben wussten: Die rich­tige Arbeit liegt noch vor uns.

Es ist leicht, mit 65.000 Men­schen im Chor „Nazis raus“ zu rufen. Was schwerer ist: An einem Tisch mit 30 auf­ge­brachten Bür­gern zu erklären, warum straf­fällig gewor­dene Asyl­be­werber nicht sofort abge­schoben werden können. Jus­tiz­mi­nister Sebas­tian Gemkow hat das im Rahmen des Sach­sen­dia­logs letzten Don­nerstag getan, ich saß mit an diesem Tisch und es waren tolle Gespräche.

Ein­ander zuhören, den anderen aus­reden lassen, Mut zur Dif­fe­ren­zie­rung zu haben. Darauf wird es in den nächsten Monaten ankommen. Es sind schwere Zeiten für alle, die mehr sehen wollen als Schwarz oder Weiß, schwere Zeiten für Fein­heiten, die gerade in diesen Tagen so wichtig ist.   Momentan ver­sam­meln sich viele Men­schen unter dem Hashtag „Wir sind mehr“. Ich weiß nicht, ob wir mehr sind. Ich weiß auch nicht, ob es eine kluge Idee ist, Quan­tität  zum Qua­li­täts­kri­te­rium zu erheben.

Wir alle haben es jetzt in der Hand, woran man sich in 10 Jahren beim Gedanken an Chem­nitz erin­nern wird: An einen Schand­fleck oder an einen posi­tiven Wen­de­punkt.