Holger Mann: A wie Atomkraftwerk bekommt man nicht ohne B wie Brennstäbe und Beton, C wie Cäsium und E wie Endlagerung
Holger Mann, wissenschafts- und wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag, am Donnerstag im Landtag zur Debatte um die Atomkraft-Kampagne der AfD:
„Atomkraft ist astronomisch teuer, viel zu unsicher, befördert Aufrüstung und führt in die verstrahlte Vergangenheit. Die SPD-Fraktion arbeitet lieber an einer sonnigen, sicheren und nachhaltigen Zukunft“, so Holger Mann am Donnerstag zusammenfassend zum AfD-Antrag, der den Weiterbetrieb der deutschen Kernkraftwerke fordert.
„Die AfD will mit Vollgas zurück ins letzte Jahrtausend. Die SPD-Fraktion will eine echte Energiewende vorantreiben – mit den sichersten und sauberen Technologien, kostengünstig, dezentral und bürgernah. Für uns Sozialdemokrat*innen hat Atomkraft zur Energiegewinnung ein Verfallsdatum: Ende 2022 ist Schluss!“, stellt Mann klar.
Es sei, so Mann weiter, erwiesen, dass die Wertschöpfungskette der Atomenergie klimafeindlich ist: „Bau und Rückbau von Atomkraftwerken (AKW), Wiederaufbereitung und Endlager, Erschließung, Abbau, Transport und Veredelung des Urans sowie die Aufbereitung der Brennstäbe verursachen erhebliche Mengen klimaschädlicher Gase und weiterer schädlicher Emissionen. Die erneuerbaren Energien sind dagegen sicher und unerschöpflich. Deren heute technisch nutzbares Potenzial übertrifft den derzeitigen weltweiten Energiebedarf um ein Vielfaches.“
Mann verwies in der Debatte zudem auf ein von der Fraunhofer Gesellschaft erstelltes Gutachten, das Versorgungssicherheit durch erneuerbare Energien bescheinigt*.
„Die AfD will uns mit ihrer Kampagne glauben lassen, dass man A wie Atomkraftwerk ohne B wie Brennstäbe und Beton, C wie Cäsium und E wie Endlagerung bekommt. Das glaubt ihr nur niemand! Die Bürgerinnen und Bürger Sachsen wollen kein Atomkraftwerk in ihrer Nachbarschaft. Und wo der Atommüll über viele Jahrhunderte gelagert wird, bleibt ungeklärt. Die vielgepriesene Lösung der Reaktoren der 4. Generation wird hochsubventioniert zwar wissenschaftlich beforscht, aber letztendlich vom Weltmarkt praktisch entschieden. Auch beim oft herbeizitierten Verfahren der Transmutation, wie es in Russland zur Anwendung kommt, fällt Atommüll an, der lange strahlt, sogar noch mehr Dosisleistung und Restwärme abgibt und in ein Endlager verbracht werden muss. Es wäre energie‑, wirtschafts- und umweltpolitisch falsch, auf diese unausgereifte Technologie zu setzen. Und die finanziellen Belastungen für Bürgerinnen und Bürger wie auch für unsere Umwelt wären enorm.“
Holger Mann, der im Erzgebirge aufgewachsen ist, rief abschließend in Erinnerung: „Über die Arbeitsbedingungen sowie Hinterlassenschaften im Uran-Abbau müssen wir sicher nicht streiten. Die WISMUT-Halden und die Kosten der Sanierung kennen viele von uns. Ich bin im Erzgebirge aufgewachsen, auf der Halde hinter meiner Schule bekamen die Geigerzähler Puls. Die Schicksale aber vieler Bergleute, welche die Pechblende auf Kosten ihrer Gesundheit abgebaut haben, kennen nur wenige und das hat seine tragische Ursache.“
Hintergrund:
* Aus dem Gutachten der Fraunhofer Gesellschaft (https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Publikationen/Studien/definition-und-monitoring-der-versorgungssicherheit-an-den-europaeischen-strommaerkten.pdf): „[Es] ergibt [sich] durchweg ein sehr hohes Niveau der Versorgungssicherheit am Strommarkt in Deutschland. In allen untersuchten Szenarien bis 2030, u.a. auch bei Reduktion der am Markt befindlichen Leistung von Kohlekraftwerken zur Erreichung der Klimaschutzziele in Deutschland für das Jahr 2030, ist die Versorgungssicherheit am Strommarkt gewährleistet. Die Verbraucher können in den vorliegenden Untersuchungen jederzeit sicher versorgt werden, d.h. die ermittelte Lastüberhangwahrscheinlichkeit beträgt für Deutschland im gesamten Betrachtungszeitraum null.“
Redemanuskript:
- Es gilt das gesprochen Wort –
33. Plenarsitzung am 24.06.2021
TOP 7: „Kernenergie – na klar! Keine Experimente mit der Versorgungssicherheit“ (Drs 7/5414, Antrag AfD-Fraktion)
[Anrede]
der Antrag der AfD will mit Vollgas zurück ins letzte Jahrtausend. AfD steht offensichtlich für Atom, Fracking und Diesel – bekannterweise die sichersten und saubersten Technologien, die es so gibt.
Laut Antrag soll die Staatsregierung sich beim Bund dafür einsetzen, dass AKW weiter am Netz bleiben oder als Reserve vorgehalten werden. Ergo: Der 2. Ausstieg aus dem Atomausstieg, eine Schnapsidee, von der sich selbst die Union verabschiedet hat.
Warum wollen Sie das? Sie halten die Erneuerbaren für nicht „grundlastfähig“. Die Kampagne, welche die AfD dazu auf Bundes- und Landeseben führt, zeigt einmal mehr, dass Sie nicht begreifen wollen, dass wir eine echte Energiewende vorantreiben, mit den sichersten und saubersten Technologien, kostengünstig, dezentral und bürgernah.
Für uns hat Atomkraft in Deutschland ein Verfallsdatum, und das ist Ende 2022. Und das hat seine Gründe:
Die Wertschöpfungskette von Atomenergie ist klimafeindlich: Der Bau sowie der Rückbau von Atomkraftwerken (AKW), die Wiederaufbereitungsanlagen und Endlagerstätten, die Erschließung, der Abbau, Transport und Veredelungsprozess von Uran sowie die Aufbereitung der Brennstäbe verursachen erhebliche Mengen klimaschädlicher Gase und weiterer schädlicher Emissionen.
Dabei decken Atomkraftwerke weltweit einen immer geringeren Anteil des Endenergieverbrauchs ab. Sie können somit gar keinen maßgeblichen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Die Deckung von nur 5 Prozent des weltweiten Energieverbrauchs würde den Bau von etwa 1.000 AKWs mit je 1.000 MW Leistung erfordern.
Ein solcher Ausbau wäre astronomisch teuer, würde sehr lange dauern und die begrenzten Uranvorräte wären noch schneller aufgebraucht.
Uran ist ein seltener Rohstoff, dessen Verfügbarkeit ebenso begrenzt ist wie die von Öl. Je mehr die Atomstromerzeugung ansteigt, umso früher erschöpfen sich die Uranvorkommen.
Über die Arbeitsbedingungen sowie Hinterlassenschaften im Uran-Abbau müssen wir daher hier sicher nicht streiten. Die WISMUT-Halden und die Kosten der Sanierung kennen wohl viele von uns. Ich bin im Erzgebirge aufgewachsen, auf der Halde hinter meiner Schule bekamen die Geigerzähler Puls. Die Schicksale aber vieler Bergleute, welche die Pechblende auf Kosten ihrer Gesundheit abgebaut haben, kennen nur wenige und das hat seine tragische Ursache.
Die Erneuerbaren Energien sind dagegen sicher und unerschöpflich. Deren heute technisch nutzbares Potenzial übertrifft den derzeitigen weltweiten Energiebedarf um ein Vielfaches.
Seit Beginn der Energiegewinnung in Atomreaktoren hat es unzählige Unfälle gegeben. Ob Chalk River, Majak, mehrfach Sellafield, Lucens (Schweiz), Leningrad, Jaslovské Bohunice Tschechoslowakei, Three Mile Island bei Harrisburg (USA), Saint-Laurent (Frankreich), Wladiwostok, mehrfach Tschernobyl bis zum Super-Gau von 1986 vor 35 Jahren.
Danach Tōkai-mura (Japan), Fleurus (Belgien) und schließlich der zweitgrößte Reaktorunfall von Fukushima. Durchschnittlich aller 10 Jahre kommt es auf der Welt zu einer schweren Atomkatastrophe.
Wir haben spät gelernt:
Stetige Vorfälle und Sicherheitslücken zeigen, dass auch deutsche AKWs keinesfalls störungsfrei und zuverlässig laufen. Brunsbüttel und Krümmel sind belegte Beispiele hierfür.
Die Sicherheit des Anlagenbetriebs nimmt mit längerer Laufzeit ab, denn auch Reaktoren altern (Korrosion, Materialermüdung, Risse im Reaktordruckbehälter).
Auch die Endlagerfrage ist bisher weltweit ungelöst. Die Endlagerung wird niemals völlig sicher sein.
Ihre vielgepriesene Lösung der Reaktoren der 4. Generation wird hochsubventioniert zwar wissenschaftlich beforscht aber letztendlich vom Weltmarkt praktisch entschieden. Auch bei dem in Russland, z.B. in Belojarsk, angewendeten Verfahren –
der so genannten Transmutation – fällt Atommüll an, der bis zu 1000 Jahre strahlen kann und sogar noch mehr Dosisleistung und Restwärme abgibt. 1000 Jahre, werte Kolleginnen und Kollegen, wie viele Generationen sind das denen wir diese Lasten aufbürden?
Jetzt mag sich die eine oder der andere Beobachter*in fragen, wieso dann noch neue AKW in Europa oder anderen Ländern gebaut werden? Die Antwort ist einfach: massive Subventionen im hohen dreistelligen Milliardenbereich.
Diese Subventionen stammen zum einen aus dem Zeitalter der Blockkonfrontation. Denn zur Wahrheit gehört: Atomkraftwerke und ‑techniken sind auch ein Abfallprodukt der atomaren Aufrüstung.
Fakt ist aber, auch heute noch wirken Zusagen des bis zu dreifachem Marktpreis als Einspeisevergütung über Jahrzehnte. So wie es EDF durch Großbritannien beim Bau von Hinkley Point C zugesichert wurde. Dagegen sind unsere Regelungen im Energie-Einspeisung-Gesetz ein Schnäppchen.
Auch in der Anhörung des Ausschusses für Energie, Klimaschutz, Umwelt und Landwirtschaft (EKULA), wurden aberwitzigen Milliardensummen genannt, mit denen die deutsche Atomwirtschaft über Jahrzehnte subventioniert wurde.
Zur Versorgungssicherheit im Stromsektor durch Erneuerbare Energien will ich den letzten Monitoringbericht des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) aus 2019 zitieren, welche den Atom- und Kohleausstieg bereits eingepreist hat. Das von Fraunhofer Institut erstellte Gutachten sagt aus:
„[Es] ergibt [sich] durchweg ein sehr hohes Niveau der Versorgungssicherheit am Strommarkt in Deutschland. In allen untersuchten Szenarien bis 2030, u.a. auch bei Reduktion der am Markt befindlichen Leistung von Kohlekraftwerken zur Erreichung der Klimaschutzziele in Deutschland für das Jahr 2030, ist die Versorgungssicherheit am Strommarkt gewährleistet. Die Verbraucher können in den vorliegenden Untersuchungen jederzeit sicher versorgt werden, d.h. die ermittelte Lastüberhangwahrscheinlichkeit beträgt für Deutschland im gesamten Betrachtungszeitraum null.“
Zumal die Brückentechnologie Gaskraftwerke im Verbund mit Offshore-Windparks schon die Grundlast sichern. (Nebenbei bemerkt ein veralteter Begriff aus dem Zeitalter von schwerfälligen Großkraftwerke.)
Wie es schon in der Stellungnahme der Staatsregierung steht: der Atomausstieg ist Beschlusslage auf Bundesebene seit 2011 und die gesellschaftliche Zustimmung dafür ist nach wie vor hoch.
Auch wenn die Kampagnen und Desinformationen von AfD & Co. pro Atomkraft und gegen Erneuerbaren Energie laufen.
Ich ahne, Sie sehen sie schon: die unzähligen Demonstrationen aufgebrachter sächsischer Bürger, die ein Atomkraftwerk oder Endlager in ihrer Nachbarschaft fordern.
Wir nicht, auch wenn uns die AfD-Kampagne glauben machen will, dass man A – wie Atomkraftwerke – ohne B wie Brennstäbe und Beton, C wie Cäsium und E wie Endlagerung bekommt.
Und zu guter Letzt, Ihr vorgeschobenes Klimaargument pro Atomkraft nimmt ihnen, wie schon der Atomlobby lange niemand ab: Wer den menschengemachten Klimawandel anzweifelt, wird schnell als Schaf im Wolfspelz enttarnt.
Atomkraft ist:
astronomisch teuer
viel zu unsicher
befördert Aufrüstung und
führt in die Vergangenheit.
Wir arbeiten lieber an einer sonnigen Zukunft
und lehnen den Antrag daher ab.
Dankeschön.