Abschiebepraxis endlich ändern – Innenministerium muss handeln

26. Juli 2021

+++ Sofort­pro­gramm zum Schutz gut inte­grierter Fami­lien +++ vor­über­ge­henden Abschie­be­stopp ver­fügen +++ Koali­ti­ons­ver­trag ein­halten +++

Albrecht Pallas, innen­po­li­ti­scher Spre­cher der SPD-Frak­tion im Säch­si­schen Landtag, am Montag zur For­de­rung nach einem Sofort­pro­gramm zum Schutz von gut inte­grierten Fami­lien:

Die SPD-Frak­tion im Säch­si­schen Landtag hat ein Posi­ti­ons­pa­pier zur Abschie­be­praxis im Frei­staat vor­ge­legt. Das Innen­mi­nis­te­rium und die zustän­digen Behörden werden auf­ge­for­dert, ein Sofort­pro­gramm zum Schutz von gut inte­grierten Fami­lien auf­zu­legen und umzu­setzen. Zudem soll das Här­te­fall­ver­fahren humaner werde.

„In den ver­gan­genen Monaten haben sich in Sachsen inhu­mane Vor­fälle gehäuft, bei denen vor allem gut inte­grierte Fami­lien mit Kin­dern betroffen waren. Eine Abschie­bung von min­der­jäh­rigen Kin­dern mitten in der Nacht steht im abso­luten Wider­spruch zu unserer Koali­ti­ons­ver­ein­ba­rung. Diese Praxis säch­si­scher Behörden ist für uns als SPD-Frak­tion nicht länger haltbar“, so SPD-Innen­ex­perteAlbrecht Pallas. „Das Innen­mi­nis­te­rium muss jetzt end­lich zügig han­deln.“

„Zuletzt machte die Abschie­bung der geor­gi­schen Familie Imer­lish­vili mit sieben Kin­dern aus Pirna Schlag­zeilen. In diesem kon­kreten Fall ver­langen wir, dass die Familie legal wieder ein­reisen darf und hier das lau­fende Ver­fahren auf Ertei­lung einer Auf­ent­halts­er­laubnis bezie­hungs­weise das Här­te­fall­ver­fahren durch­ge­führt werden kann. Bis zur Klä­rung der Vor­fälle um die Abschie­bung der Familie aus Pirna soll ein Abschie­be­stopp für Fami­lien aus Sachsen ver­hängt werden.“

 

„Zudem muss das Innen­mi­nis­te­rium jetzt zügig ein Leit­faden erar­beiten, der die Situa­tion der Kinder in den Blick nimmt. Dort soll unter anderem gere­gelt werden, dass Fami­lien mit min­der­jäh­rigen Kin­dern nicht mehr zwi­schen 20.00 Uhr und 6.00 Uhr abge­schoben werden. Zudem müssen die Jugend­ämter in die Vor­be­rei­tung und Durch­füh­rung von Abschie­bungen ein­be­zogen werden, wenn min­der­jäh­rige Kinder betroffen sind.

„Das Innen­mi­nis­te­rium soll außerdem die Aus­län­der­be­hörden anweisen, dass bis zum rechts­ver­bind­li­chen Abschluss von Dul­dungs­ver­fahren gut inte­grierter Asyl­su­chender oder von Men­schen in Aus­bil­dung bezie­hungs­weise in Beschäf­ti­gung von Abschie­bungen abge­sehen wird. Ent­schei­dungen der Här­te­fall­kom­mis­sion müssen so ver­bind­lich wie mög­lich sein. Das Innen­mi­nis­te­rium muss bei beab­sich­tigten Ent­schei­dungen gegen das Votum der Kom­mis­sion die ver­ant­wort­li­chen Mit­glieder anhören und seine abwei­chende Ent­schei­dung aus­führ­lich und schrift­lich begründen.“

Sofortprogramm zum Schutz integrierter Familien

Positionspapier der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag

Dresden, 26. Juli 2021

In der Nacht vom 9. auf den 10. Juni 2021 wurde erneut deut­lich, woran die Abschiebe-Praxis im Frei­staat Sachsen krankt. Mitten in der Nacht wurde in Pirna die geor­gi­sche Familie Imer­lish­vili mit sieben Kin­dern aus den Betten geklin­gelt und auf­ge­for­dert, ihr Hab und Gut nach acht Jahren Auf­ent­halt in Deutsch­land in wenigen Kof­fern zu ver­stauen. Erneut hat Sachsen einer gut inte­grierten Familie mit min­der­jäh­rigen Kin­dern und arbeits­tä­tigen Eltern die Chance genommen, dau­er­haft in unserem Land zu bleiben. Einer Familie, die in der Nach­bar­schaft bes­tens inte­griert war und sich in unsere Gesell­schaft aktiv ein­ge­bracht hat. Dabei läuft nach wie vor ein Antrag auf Auf­ent­halts­er­laubnis auf­grund nach­hal­tiger Inte­gra­tion (§ 25b Auf­enthG). Die zustän­digen Aus­län­der­be­hörden auf kom­mu­naler und Lan­des­ebene haben die Ent­schei­dung zum Antrag jedoch nicht abge­wartet und damit den bun­des­recht­lich eröff­neten Spiel­raum für eine Brücke in die Zuwan­de­rung ad absurdum geführt. Leider konnte auch die kurz­fris­tige Ent­schei­dung der Här­te­fall­kom­mis­sion, sich mit dem Fall befassen zu wollen, den Abschie­be­vor­gang nicht unter­binden.

Dar­über hinaus wurde erneut die Ver­stän­di­gung aus dem Koali­ti­ons­ver­trag igno­riert, wonach wir gewähr­leisten, dass Abschie­bungen durch Behörden des Frei­staates Sachsen für die Betrof­fenen so human wie mög­lich und unter beson­derer Berück­sich­ti­gung des Kin­des­wohls gestaltet werden. Eine Abschie­bung von min­der­jäh­rigen Kin­dern mitten in der Nacht steht im abso­luten Wider­spruch zu dieser Ver­ein­ba­rung. 

In den Jahren 2020 und 2021 wurden viele sol­cher Fälle bekannt und auch öffent­lich doku­men­tiert:  Ade­lina Ajeti aus Leipzig, Faisal Jah­angir aus Meißen, Caro­lina Roraima Cuare aus Bautzen, die Familie Pareu­lidze-Gar­das­vili aus Meißen oder Ali Sufyan aus Dresden und andere mehr. Sie alle waren in Sachsen gut inte­griert, waren in Aus­bil­dung oder in festen Anstel­lungs­ver­hält­nissen, hatten Kinder, die hier geboren worden sind und erfolg­reich die Schule besuchten, viele erwarben zer­ti­fi­zierte Deutsch-Kennt­nisse und hatten Freun­dinnen und Freunde, Arbeits­kol­legen, Che­finnen und Bekannte, die sich für sie ein­setzten. Oft ver­ge­bens.

Diese Praxis säch­si­scher Behörden ist für uns als SPD-Frak­tion im Säch­si­schen Landtag nicht länger haltbar.

Daher for­dern wir das Säch­si­sche Staats­mi­nis­te­rium des Innern und die zustän­digen Behörden auf, ein Sofort­pro­gramm zum Schutz von gut inte­grierten Fami­lien auf­zu­legen und umzu­setzen, wel­ches wenigs­tens fol­gende Punkte beinhaltet:

  1. Im Fall der geor­gi­schen Familie aus Pirna die Aus­stel­lung einer Betre­ten­ser­laubnis durch die zustän­dige Aus­län­der­be­hörde, damit diese legal wieder ein­reisen und hier das lau­fende Ver­fahren auf Ertei­lung einer Auf­ent­halts­er­laubnis bzw. das Här­te­fall­ver­fahren durch­führen kann.
  2. Die Ver­hän­gung eines Abschie­be­stopps für Fami­lien in Sachsen bis zur Klä­rung der Vor­fälle in Pirna.
  3. Die Erar­bei­tung und Durch­set­zung eines Leit­fa­dens Rück­füh­rungs­praxis zur Ver­mei­dung jeder Form von Kin­des­wohl­ge­fähr­dung.
  4. Dort soll u.a. gere­gelt werden:
    • keine Abschie­bung von Fami­lien mit min­der­jäh­rigen Kin­dern in der Zeit von 20 Uhr bis 6 Uhr. 
    • Betei­li­gung des Jugend­amtes bei der Vor­be­rei­tung und Durch­füh­rung von Abschie­bungen, von denen auch Min­der­jäh­rige betroffen sind.
  5. Die Ein­rich­tung eines Abschie­be­mo­ni­to­rings bzw. einer Abschie­be­be­ob­ach­tung (durch einen freien Träger der Wohl­fahrts­pflege) mit festen Ansprechpartner:innen.
  6. Erlass von Anwen­dungs­hin­weisen durch das Säch­si­sche Staats­mi­nis­te­rium des Innern zu den Para­grafen 25a und 25b Auf­ent­halts­ge­setz (Auf­enthG), um die Anwen­dungs­fre­quenz des bun­des­ge­setz­lich eröff­neten Spiel­raums sei­tens der Aus­län­der­be­hörden zu erhöhen und zu ver­ein­heit­li­chen.
  7. eine Anwei­sung des Säch­si­sche Staats­mi­nis­te­riums des Innern an die Aus­län­der­be­hörden, dass in Fällen, bei denen Anträge auf Auf­ent­halts­ge­wäh­rung auf­grund guter Inte­gra­ti­ons­leis­tung (§§ 25a, 25b Auf­enthG) oder Aus­bil­dungs- bzw. Beschäf­ti­gungs­dul­dung (§§ 60c, 60d Auf­enthG) im Ver­fahren sind, von einer Abschie­bung bis zum rechts­ver­bind­li­chen Ende des Ver­fah­rens abge­sehen wird (Ver­fah­rens­dul­dung).

Dar­über hinaus arbeiten wir in der Koali­tion daran, den huma­ni­tären Cha­rakter des Här­te­fall­ver­fah­rens zu stärken. Unser Ziel ist es, dass:

  • mehr Men­schen die Mög­lich­keit auf ein Här­te­fall­ver­fahren erhalten,
  • sich die Här­te­fall­kom­mis­sion auch bei unmit­telbar bevor­ste­hender Abschie­bung mit Fällen befassen kann,
  • Aus­län­der­be­hörden ver­pflichtet werden, über die Mög­lich­keit der Anru­fung der Här­te­fall­kom­mis­sion pro­aktiv und qua­li­fi­ziert zu beraten,
  • Ent­schei­dungen der Här­te­fall­kom­mis­sion so ver­bind­lich wie mög­lich sind,
  • das Säch­si­sche Staats­mi­nis­te­rium des Innern bei beab­sich­tigten Ent­schei­dungen gegen das Votum der Kom­mis­sion die ver­ant­wort­li­chen Mit­glieder anhören und seine abwei­chende Ent­schei­dung aus­führ­lich und schrift­lich begründen muss